par Gesche Wüpper,
« Frankreich streitet darüber, ob eine voll verschleierte Besucherin wirklich die Oper verlassen muss. Der Fall belebt die Debatte über das Nikab-Verbot neu. Seit Einführung gab es tausend Verwarnungen.
Der Nikab-Vorfall in der Pariser Oper an der Bastille sorgt in Frankreich für Schlagzeilen. Wie erst jetzt bekannt wurde, forderte die Leitung des berühmten Opernhauses bereits Anfang Oktober eine voll verschleierte Touristin aus der Golfregion auf, entweder ihr Gesicht zu enthüllen oder den Saal zu verlassen. Einige Sänger des Chores hatten erklärt, sie würden die « La Traviata » nicht weitersingen, sollte « das Problem » nicht gelöst werden.
« Ich mag es nicht, Zuschauer hinauszubitten, aber es gilt das Gesetz, und wir sind ein öffentlicher Dienst », erklärte der Vizedirektor der Oper, Jean-Philippe Thiellay, französischen Medien.
Das französische Kulturministerium will nach dem Vorfall eine entsprechende Mitteilung an Theater, Museen und andere öffentliche Kulturinstitutionen verschicken, um sie darüber zu informieren, wie sie mit dem Thema Vollverschleierung umgehen sollen. Denn bereits seit dem Frühjahr 2011 ist eine komplette Verschleierung in der Öffentlichkeit verboten.
In dem Gesetz, das unter dem früheren konservativen Präsidenten Nicolas Sarkozy beschlossen wurde, wird die islamische Vollverschleierung zwar nicht explizit erwähnt. Das Gesetz verbietet jedoch, auf der Straße und an anderen öffentlichen Orten wie Museen, Geschäften, Parks, Stränden, Bahnhöfen und Flughäfen Kleidung zu tragen, « die dazu bestimmt ist, das Gesicht zu verbergen ».
Für Verstöße gegen das Verbot drohen Geldstrafen von 150 Euro und/oder die Verpflichtung, an einem Kurs zu den Werten der französischen Republik teilzunehmen. Das betroffene Paar in der Oper hatte für seine Premierenplätze rund 230 Euro bezahlt, um Rückzahlung soll es beim Verlassen der Oper nicht gebeten haben.
Verbot kein Verstoß gegen Meinungsfreiheit
In einem Rundschreiben an die Mitarbeiter von öffentlichen Institutionen zur Umsetzung des Gesetzes heißt es: « In dem Fall, dass eine Person mit verhülltem Gesicht bereits in das Gebäude eingetreten ist, wird dem Personal empfohlen, der Person die Regeln in Erinnerung zu rufen und sie aufzufordern, sie zu respektieren, indem sie das Gesicht enthüllt oder den Ort verlässt. » Allerdings dürfen die Mitarbeiter öffentlicher Institutionen voll verschleierte Personen nicht dazu zwingen, dies zu tun. Stattdessen müssen sie die Ordnungskräfte einschalten, sollte die betroffene Person ihrer Aufforderung nicht nachkommen.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg hat das Gesetz erst im Juli bestätigt. Denn nach Ansicht der Richter handelt es sich bei dem Verbot nicht um Diskriminierung und auch nicht um einen Verstoß gegen die Meinungs- und Religionsfreiheit, sondern um die legitime Festlegung des gesellschaftlichen Miteinanders.
Wie aus dem im Mai veröffentlichten Jahresbericht der Beobachtungsstelle für Laizität (Observatoire de la laïcité) hervorgeht, wurden zwischen dem Inkrafttreten des Gesetzes 2011 und dem 21. Februar dieses Jahres 1111 Personen, größtenteils voll verschleierte Frauen, kontrolliert. Davon wurden 1038 gebührenpflichtig verwarnt. Der Großteil der kontrollierten Frauen sei 20 bis 29 Jahre alt, heißt es in dem Bericht.
Konservative loben « Mut der Chorsänger »
Einen Vorfall wie jetzt in der Oper an der Bastille hat es jedoch bisher noch nie in Frankreich gegeben. « Das ist ein Mangel an Höflichkeit, der mich schockiert », urteilt die Senatorin Esther Benbassa von den Grünen. Dadurch sei die verschleierte Opernbesucherin gedemütigt worden, findet sie. « Wie hat sie denn die anderen Leute behindert, die in der Oper waren? » Die Chorsänger würden dafür bezahlt, zu singen, und nicht dafür, die Gäste zu kontrollieren.
Die internationale Presse werde sich nun über Frankreich lustig machen, meint Benbassa. Im Gegensatz zur ihr begrüßte der frühere Landwirtschaftsminister Bruno Le Maire von der konservativen Oppositionspartei UMP ausdrücklich den « Mut der Chorsänger ». Seine Parteikollegin, die Europaabgeordnete und ehemalige Staatssekretärin Nadine Morano, hatte erst kürzlich für Schlagzeilen gesorgt, als sie sich auf Twitter über eine voll verschleierte Frau im Gare de l’Est beschwerte. Morano hatte daraufhin die Polizei eingeschaltet. Bereits im August hatte sie sich auf sozialen Netzwerken beklagt, am Strand auf eine Frau mit Vollverschleierung getroffen zu sein. « Sehr gut », kommentierte sie jetzt auf Twitter den Vorfall in der Oper. « Das Gesetz kann man nicht kaufen! »
Die Vollverschleierung sorgt immer häufiger für Ärger in Frankreich. Einige Burka-Trägerinnen beschweren sich seit dem Verbot über Anfeindungen, unter anderem soll ihnen der Zutritt zu Geschäften untersagt worden sein. Andererseits beklagen Frauen ohne Kopftuch, dass sie mittlerweile von radikalen Islamisten in der Öffentlichkeit beschimpft und zurechtgewiesen werden. In einem Fall musste eine Frau sogar den Bus verlassen, nachdem männliche Fahrgäste unter « Allahu Akbar »-Rufen Druck gemacht hatten. »
Pour (re)lire l’article sur Die Zeit, cliquez ici!